Der Fetzenfisch ist ein Meerestier vor den Küsten Australiens. Er ist der Mittelpunkt einer besonderen Rede an diesem Klubabend: Das zehnte Projekt des Grundlagenhandbuches, das in der Zertifizierung durch Toastmasters mündet. Was hat es mit dem Fetzenfisch auf sich?
Bei der Rede handelte es sich nicht um einen Vortrag über Zoologie, vielmehr ging es um die Symbolik. Der Fetzenfisch steht für Wandlung und versteckte Potentiale. Zwei Elemente, die Rednerin mit den Berliner Meisterrednern verbindet:
„ […] Vor über einem Jahr bin ich zu den Meisterrednern gekommen. Damals hatte ein Mitglied einen Workshop durchgeführt. Dieser Workshop drohte aus dem Ruder zu laufen und der Abend zu kentern. Was mich damals inspirierte, war, wie die Meisterrednerinnen und -redner damit umgingen: Sie ließen den Organisator nicht ertrinken, sondern halfen ihm.
Dieser Umgang mit Missgeschicken hat mir imponiert. Das war für mich eine tolle Erfahrung, wie in diesem Moment nicht nach Fehlern gesucht wurde, sondern nach Lösungen. Das ist etwas, was uns als Toastmasters, als Meisterrednerinnen und -redner, auszeichnet, woraus wir unsere Kraft ziehen.
Jeden Klubabend schaffen wir einen Raum, um uns auszuprobieren und zu lernen. Wir alle haben ein gemeinsames Ziel: An uns zu arbeiten, um besser zu werden. Dabei sind die Gründe unterschiedlich. Einige arbeiten an sich, um beruflich voranzukommen, andere weil sie sich persönlich weiterentwickeln wollen.
Einige von uns, weil sie etwas bewegen wollen: Der Klub Berliner Meisterredner ist der erste deutschsprachige der Hauptstadt. Er wurde von vielen Ehrenamtlichen aufgebaut und gepflegt, weil sie von dem Konzept Toastmasters überzeugt sind. Ihnen allen verdankt der Klub, dass er Menschen helfen kann, persönliche und berufliche Ziele zu erreichen, dass sie sich wandeln vom gewöhnlichen Seepferdchen zu einem bunten Fetzenfisch.
Der Klub unterstützt Menschen, ihre Rhetorik zu verbessern, präsenter zu sein und zu wirken. Worte haben eine immense Wirkung: Sie motivieren, begeistern und beglücken, sie können aber auch destruktiv sein. Reden bedeutet Führung.
Führen ist aber noch viel mehr und komplexer. Unser Präsident hat es dennoch bei einem guten Glas Wein in einem prägnanten Satz zusammengefasst: „Führen bedeutet, zu dienen“. Das Wort scheint aus der Zeit gefallen, aus meiner Sicht lässt sich Führung nicht besser beschreiben: Dienen ist das Gegenteil von beherrschen, dienen bedeutet, sich zurückzunehmen und anderen Möglichkeiten zu geben, ihre Potentiale zu entfallten. Das verlangt viel ab: Selbstbeherrschung, ein geschärften Blick für Bedürfnisse und Lösungskompetenz.
Ich beschäftige mich aus beruflichen Gründen viel mit Führung und Potentialanalysen. Vor kurzem hatte ich einen Kollegen, der von seiner Chefin gesagt bekommen hat, er solle extrovertierter sein, um sich als zukünftige Führungskraft zu etablieren. Dieser Kollege hatte ein besonderes Einfühlungsvermögen, er war aber sehr analytisch veranlagt und neigte nicht zur Selbstprofilierung. Damit wurde ihm die Qualität als Führungskraft aberkannt. Legen wir die Definition an von Führung als Dienen, dann ergeben sich Zweifel, ob dieses Urteil berechtigt ist.
Führungspersönlichkeit war auch Thema auf einer Arbeitstagung zur Personalentwicklung im September. Einen Vortrag fand ich besonders interessant – der von Frau Dr. Sylvia Löhnken. Den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit als Autorin und Trainerin legt sie auf die Eigenschaften Introversion und Extraversion sowie deren Auswirkungen auf das berufliche und private Leben.
„Menschliche Gehirne ticken unterschiedlich“ ist ihre Überzeugung und dennoch berücksichtigen wir das zu wenig beim Coaching, Weiterbildung – und ich ergänze: beim Thema Führung.
Heute ist durch die Forschung bekannt, dass die Eigenschaft „Intro“ oder „Extro“ sich auch in der Aktivität unserer Hirnhälften zeigt. Dabei handelt es sich nicht um eine Befindlichkeit, sondern es geht um den Kern unserer Persönlichkeit. Bedauerlicherweise werden Extros und Intros für zwei verschiedene Gewässer gehalten; das eine ist zu flach, das andere zu tief und schmutzig und sie sind unvereinbar. Diese Betrachtung ist zu einfach und verkennt Entwicklung-Möglichkeiten.
Mit dem Fetzenfisch begann meine Redelaufbahn in der Grundschule. Mit dem Fetzenfisch endet mein 10. Projekt des Grundlagenhandbuches der Toastmasters. Ich finde es toll, dass wie bei den Meisterrednern die Rhetoriklaufbahn haben, ich finde es großartig, dass wir uns mit Führung auseinandersetzen.
Damit verbinde ich einen Wunsch: Lasst uns alle weiterhin dazu beitragen, dass Menschen, die bunten Seiten an sich entdecken, damit sie gesehen werden und ihren Visionen schillernde Farben geben. Lasst uns aber auch die Qualitäten würdigen, die zunächst nicht offensichtlich sind und diese Potentiale erschließen, die versteckt sind wie die Seepferdchen im Seegras.
Vor allem aber erkenne beide Seiten in Dir selbst: Sei mal ein Seepferdchen mit Tiefgang, mal fetzig wie ein Fetzenfisch. Sei wandelbar!
An dieser Stelle will ich an diesem Abend allen danken, die sich engagieren und diesen Klub stark machen: Indem sie Ämter bei den Klubabenden übernehmen, beim Vorstand arbeiten und die als erfahrene Mitglieder den Klub aufgebaut haben und zusammen halten. Das ist ein großer Verdienst!
Und lasst uns alle gemeinsam die verborgenen Potentiale erkennen und fördern und damit neue Perspektiven schaffen.“