Ich bin Patricia Steinmann, Studienrätin für Deutsch, Englisch und Geschichte, Lehrer-Coach und Supervisorin, Gründerin und ehemalige Präsidentin der Berliner Meisterredner und erste DTM in Berlin.
Wann hat es angefangen?
In den 1990er Jahren gab es in Berlin drei englischsprachige Toastmasters Clubs, First Berlin, South Berlin (†) und Mercury. Sie wurden eher als Konversationsgruppen geführt, in denen man die englische Sprache üben konnte. Die Redner waren oft nicht vorbereitet, die Bewerter gaben undifferenziertes Feedback und bewunderten meist nur unverhohlen gutes Englisch. Die rhetorische Entwicklung kam zu kurz.
Ich kannte es anders, denn ich hatte in den USA muttersprachliche Toastmasters-Clubs erlebt. Ich hatte erlebt, dass es Spaß macht, das Ausbildungsprogramm von Toastmasters Int. ernst zu nehmen. In meinem Berliner Club Mercury gab Frank Spade, auch US-Toastmasters-erfahren und unzufrieden mit der Anspruchslosigkeit der Berliner Clubs.
Frank Spade und ich beschlossen deshalb im Sommer 2001, in Berlin einen deutschsprachigen Toastmasters Club zu gründen, in dem es um die Entwicklung rhetorische Fähigkeiten im Sinne von Toastmasters Int. gehen sollte.
Was heißt es nun, einen Club zu gründen?
Bei Club-Gründungen gibt es immer vier Herausforderungen und in unserem Fall eine weitere fünfte:
1. einen geeigneten Raum zu finden,
2. durch Werbung auf sich aufmerksam zu machen, und
3. interessierten Gästen so attraktive Clubabende vorzuführen, dass sie von dem Toastmasterskonzept überzeugt zu Mitglieder werden.
4. Diese Mitglieder über einen gewissen Zeitraum zu halten.
1. Unser erster Raum war das Hinterzimmer des Szene-Restaurants Terzo Mondo in der Nähe des Savignyplatzes. Der Raum war kostenlos, aber auch schmuddelig und dunkel. Wir hatten Verzehrzwang und konnten die Erwartungen des Wirtes nicht erfüllen. Er begann, das Zimmer als Abstellraum zu benutzen. Wir verharrten dort einige Monate, bis uns ein neues Mitglied einlud, in seine mondäne Kanzlei am Kudamm umzuziehen.
2. Marketing ist bei einer Gründung die größte Herausforderung, und wir bemühten uns mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Frank Spade erstellte eine schöne Website. Schifra Wittkopp, ein frühes Mitglied und Marketingexpertin, brachte uns in Funk und Fernsehen. Außerdem verteilten wir Flyer. Wir steckten sie in Buchläden und Büchereien in Rhetorikbücher, legten sie auf U-Bahn- und Park-Bänken aus oder klebten sie an Laternenmaste. Und natürlich half auch Mundpropaganda im Bekanntenkreis.
3/4. Für attraktive Clubabende baten Frank und ich andere Toastmasters um Unterstützung. In jeder Sitzung begrüßten wir Gäste aus den englischsprachigen Clubs, auch aus Hamburg, Hannover und Buxtehude. Die überschaubare norddeutsche Toastmasters-Szene war immer hilfsbereit und unterstützend und motivierte uns auch in schwierigen Phasen, wenn zum Beispiel Mitglieder schon vor der Charter wieder absprangen, weiterzumachen.
5. In der Gründungsphase der Meisterrednern kam noch die Herausforderung hinzu, dass es keine offiziellen deutschsprachigen Materialien gab. Der einzige deutschsprachige Club war in München. Er stellte uns seine private Übersetzung des Grundlagen-Handbuchs zur Verfügung, das wir dann unseren neuen Mitgliedern als Fotokopie aushändigten. Wir selbst übersetzten zusammen mit Mercury-Mitgliedern Materialien wie den Aufnahmeantrag, das Toastmastersversprechen, die Satzung und Verfassung, die Ämterbeschreibungen, Wettbewerbsunterlagen usw. Heute übliche Begriffe wie “Saalmeister” (engl. Sergeant-at-Arms), “Stegreifreden” (engl. Table Topics) oder “Gesamtbewerter” (engl. General Evaluator) wurden von den Berliner Meisterrednern geprägt und gingen in die offiziellen Unterlagen ein, die Toastmasters nach intensiver Lobby-Arbeit einige Jahre später bereitgestellte.
Wie kamen die Meisterredner zu ihrem Namen?
Über den Namen stimmten die Mitglieder im Laufe des Jahres 2002 ab. Da wir der erste deutschsprachige Hauptstadtclub waren, wollte ich ihm einen besonderen Namen geben. Es gab Vorschläge wie Berliner Rhetoriker, Redner-Club und Spreeredner. Für meinen Vorschlag, „Berliner Meisterredner“, übersetzte ich zunächst einfach Toastmasters: Toast=Rede, Masters=Meister. Damit waren wir der prototypische deutschsprachige „Toast-Masters“ Club.
Allerdings vertauschte ich die Komponenten von Toast-Masters/Rede-Meister zu „Meister-Redner“, um den Club subtil in eine große Tradition zu stellen, nämlich in die der „Meister-Singer“. Die Meistersinger waren eine spätmittelalterliche Vereinigung, die nach strengen Regeln deutsche Texte dichtete, diese in Sitzungen vortrug und Wettbewerbe veranstaltete. Sie funktionierten ähnlich wie die Toastmasters. Auch setzte sie sich mit ihren deutschen Texten von der „Lingua Franca“ der Zeit, damals Latein, ab, so wie wir das mit deutschen Reden in Bezug auf Englisch machen wollten.
Im 19. Jahrhundert schrieb der Komponist Richard Wagner die Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Darin geht es um eine turbulente Clubsitzung, schwierige Mitgliederbeziehungen und einen dramatischen Open-Air-Wettbewerb der Meistersinger. Das Werk wird noch immer regelmäßig an allen großen Opernhäusern der Welt aufgeführt. Im Namen „Meisterredner“ erklingt also auch für manchen, und das eben weltweit, große Opernmusik.
Wie charterten die Meisterredner?
Die Charterfeier des ersten deutschsprachigen Toastmasters Club in der Hauptstadt im Herbst 2003 war ein großes Ereignis. Wir erhielten eine Grußbotschaft vom damaligen Regierenden Bürgermeister, Klaus Wowereit, hörten den Vortrag eines Rhetorikprofessors der UdK und begrüßten Gäste aus Deutschland und Polen und auch von den deutschsprachigen „Geschwisterclub“ aus München.
Ein Toastmasters-Club kann mit 20 Mitgliedern gechartert werden. D.h. für die Initiatoren/Gründer, dass sie mit Ausdauer und Beharrlichkeit Mitglieder anwerben, ausbilden und pflegen, bis schließlich 20 “Gründungsmitglieder” zusammen sind und bei Toastmasters International die Charter mit Banner, Urkunde und Clubnummer beantragt werden kann. Bei den Meisterrednern hat dieser Prozess fast zwei Jahre gedauert. Neben Frank Spade und mir als GründerInnen ist Schifra Wittkopp ein Gründungsmitglied, das früh zu dem Club stieß und ihn sehr engagiert und erfolgreich mitprägte, als spätere Präsidentin und vor allem als Marketingexpertin. Weitere frühe Mitglieder sind Gaby Braehler und Sylvia Butenschoen, die später auch Präsidentinnen waren und insgesamt große Verdienste um den Club haben.
Welche Veränderungen gab es in den letzten 20 Jahren?
Die Toastmasters gibt es inzwischen seit fast 100 Jahren. In den letzten 20 Jahren habe ich zwei formale Veränderungen miterlebt: Die alten Reden-Handbücher wurden durch ein Handbuch für die sog. unterstützenden Ämter, wie Stegreifredenleiter oder Bewerter, ergänzt. Es war ein Versuch, diese Ämter aufzuwerten und das Gerangel um Redeplätze zu entspannen. Dann kam die große Reform der Ausbildungsgänge und die Digitalisierung durch die Einführung von Pathways, die wir jetzt alle miterleben.
Neben diesen Formalitäten habe ich in den vergangenen 20 Jahren drei weitere positive Veränderungen beobachten können:
1. Neue Mitglieder sind entspannter als früher und brauchen kaum noch Manuskripte und Rednerpult. Sie wählen auch öfters persönliche Themen und sind besser artikuliert über Gefühle und innerpsychische Vorgänge.
2. Der Gebrauch der deutschen Sprache ist inzwischen selbstverständlich. Zum Millenniumwechsel war das noch nicht so. Die Absicht, gute Reden auf Deutsch halten zu wollen, wurde aufgrund der Erfahrungen im sog. Dritten Reich mit Unaufrichtigkeit und Manipulationswillen, Nationalismus und Revanchismus assoziiert. Der deutschen Sprache wurde noch nicht zugestanden, einen gleichrangigen Platz neben Französisch und Spanisch einzunehmen. Diese Haltung hatte auch Toastmasters International und verzögerte lange die Bereitstellung deutscher Materialien. Die Gründung eines deutschsprachigen Rhetorikclubs in der Hauptstadt war somit auch ein politisches Statement für den unverkrampften Umgang mit der Muttersprache und für die Rehabilitierung guter Rhetorik als einem unpolitischen und unverdächtigen Handwerkzeug.
3. Die allererfreuliche Entwicklung ist die Ausbreitung der Toastmasters-Idee in den letzten 20 Jahren. Aus den Meisterredner heraus sind mehrere Clubs entstanden: die Spreeredner, meine zweite Clubgründung, die Adlershof Toastmasters, eine Gründung von Schifra Wittkopp, die Redekünstler, gegründet von der Meisterrednerin Ines Wanka, und die Steglitz Toastmasters, gegründet von dem ehem. Meisterredner Jürgen Hall und mir. Diese Clubs haben in die sog. neuen Bundesländer ausgestrahlt, und inzwischen gibt es mehr deutsch- als englischsprachige Clubs in Deutschland. Es gibt sogar deutschsprachige Clubs in Prag, Breslau, Warschau und Moskau. Außerdem gibt es inzwischen die ersten Firmenclubs in Berlin, und es deutet alles daraufhin, dass Toastmasters weiterhin wächst und vielen Menschen die Möglichkeit gibt, ihre kommunikativen Fähigkeiten zu entwickeln und ein inspirierendes und produktives Miteinander zu pflegen.
Die Berliner Meisterredner behaupten sich in all den Jahren als deutschsprachiger Flaggschiff-Club in der Berliner TM-Szene und sind auch derzeit erfreulich qualitätvoll und wirkmächtig.